Beschreibung
der Gebärdensprachen
(Linguistik/Sprachwissenschaft)
Die Beschreibung und Erforschung der Gebärdensprachen gehört zu den Aufgaben der
Linguistik oder Sprachwissenschaft. Untersucht werden vor allem
Struktur und Regeln (Grammatik) der jeweiligen Gebärdensprache.
Gehörlose Forscher/innen arbeiten bei der Untersuchung der
Gebärdensprachen mit; sie liefern das notwendige Sprachmaterial
und verweisen auf den kulturellen Hintergrund. Einige der
wichtigsten Arbeiten zur Gebärdensprachforschung in den letzten
zehn Jahren stammen von gehörlosen Linguistinnen und Linguisten.
Bis zu den späten sechziger Jahren sahen die meisten Sprachforscher/innen die Gebärden der Gehörlosen als eine Sammlung von Gesten ohne Grammatik und mit einfachen Inhalten, vergleichbar mit der Pantomime. Gebärdensprache ist jedoch nicht gleich Pantomime. Das sieht man am besten daran, daß Hörende pantomimische Geschichten ohne Probleme verstehen können, während die gleiche Geschichte in Gebärdensprache oft nicht verstanden wird.
Zu Beginn der Gebärdensprachforschung untersuchte die Sprachwissenschaft hauptsächlich, wie die Hände beim Gebärden eingesetzt werden (manueller Teil). Erst später erkannte man, daß auch Gesicht, Kopf und Körperhaltung (nicht manuelle Elemente) wichtige grammatische Aufgaben erfüllen. Bis heute sind diese nicht manuellen Elemente noch immer weniger erforscht als der manuelle Teil der Gebärde.
Gebärdensprachen besitzen eine eigene Grammatik. Wie Wörter in Lautsprachen werden auch Gebärden nach bestimmten Regeln gebildet und miteinander zu Sätzen verbunden. Die Verwendung des Raums spielt dabei eine wichtige Rolle.
Ein nach wie vor nicht für alle zufriedenstellend gelöstes Problem ist die schriftliche Aufzeichnung von Gebärdensprachen, die für die wissenschaftliche Erforschung notwendig ist. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Schriftsysteme entwickelt, die in den unterschiedlichsten Aufgabengebieten eingesetzt werden.
Zwischen der Pantomime und der Gebärdensprache gibt es zwei bedeutende Unterschiede:
William C. Stokoe ist ein Sprachwissenschaftler an der Gallaudet Universität in Washington D.C. (USA), der einzigen Universität der Welt für Gehörlose. Er war einer der ersten, der die Gebärden der Gehörlosen sprachwissenschaftlich untersuchte.
Kurz nach Stokoe begann Ursula Bellugi mit ihren Forschungen. Bellugi und ihr Ehemann Edward Klima stellten zu ihrer eigenen Überraschung fest, daß die Amerikanische Gebärdensprache (American Sign Language/ASL) über zahlreiche und komplexe grammatische Strukturen verfügt.
Die Erforschung der Gebärdensprachen verbreitete sich, ausgehend von den Vereinigten Staaten von Amerika, auf die ganze Welt. In Europa spielten die skandinavischen Länder eine Vorreiterrolle; bald folgten andere europäische Länder dem skandinavischen Vorbild. In manchen Ländern - zum Beispiel auch in Österreich - hat die Gebärdensprachforschung erst in den 90er-Jahren begonnen.
Forschungszentren in Österreich:
Universität Graz
Universität Klagenfurt / Gebärdensprachdatenbank
Gehörlosenambulanz Linz
Forschungszentren in Europa:
Universität Hamburg, D
Universität Lyon, F
Universität Bristol, GB
Universität Durham, GB
Universität Essex, GB
Universität Wolverhampton, GB
Universität Leiden, NL
Universität Stockholm, S
Forschungszentren weltweit:
(wird ergänzt - bitte inzwischen auf Hamburg oder Leiden ausweichen)
Anders als bei der Pantomime werden Gebärden in einem begrenzten Raum gebildet. Dieser Raum wird als "Gebärdenraum" bezeichnet.
So wie Wörter auf verschiedene Art und Weise ausgesprochen werden können, können auch Gebärden "geflüstert" werden, indem sie kleiner (und tiefer angesetzt) als üblich im Gebärdenraum produziert werden. In Gebärden kann man auch "schreien", sie werden dafür größer und außerhalb des üblichen Gebärdenraums gebildet.
Während eine Person gebärdet, sieht die Gesprächspartnerin oder der Gesprächspartner dieser Person ins Gesicht. Deshalb ist das Gesichtsfeld auch jener Bereich des Gebärdenraums, in welchem Einzelheiten der Gebärden gut erkannt werden können.
Schriftliche Aufzeichnung von Gebärdensprachen:
Für die
Forschung müssen Gebärdensprachen schriftlich festgehalten
werden. Eine einfache und häufig verwendete Möglichkeit ist die
schriftliche Darstellung der Gebärden durch
lautsprachliche Wörter (Übersetzungen).
Solche Ausdrücke werden üblicherweise als Glossen
bezeichnet und in Großbuchstaben notiert.
Die Glosse bezieht sich nur auf den manuellen Anteil einer
Gebärde, jenen Teil also, der mit einer oder beiden Händen
gebildet wird; die mimisch-gestischen Anteile und Mundbilder
werden oberhalb der Glosse wiedergegeben. Diese Schreibweise
zeigt bildhaft die Gleichzeitigkeit der manuellen und
nichtmanuellen
| Kopfschütteln | nichtmanueller Anteil der Gebärde |
| VERSTEHEN | Glosse, manueller Anteil der Gebärde |
Dieser gebärdensprachliche Satz, der nur aus einer Gebärde und einer nicht manuellen Verneinung besteht, sagt aus, daß etwas nicht verstanden wird.
Für Gebärdensprachen sind mehrere Schriftsysteme entwickelt worden, einerseits für die Forschung, damit man Gebärden genau in ihren manuellen und nicht manuellen Elementen beschreiben kann.
Für praktische Zwecke (zum Beispiel im Rahmen des Gebärdensprachunterrichts) können sich Personen, die die Gebärdensprache erlernen, neue Gebärden notieren und sie dann zu Hause leichter wiederholen (Verschriftung von Gebärdensprachen).
Für Wörterbücher können solche Schriftsysteme langwierige schriftliche Beschreibungen, wie eine Gebärde gebildet wird (sogenannte Ausführungsbeschreibungen), ersetzen.